Ballade vom Wanderer und der Hexe

Text: Robert Mitscha-Eibl

Kam dereinst in ein Dorf ein Wandersmann.
In der Schenke der Wirt trat an ihn heran:
"Gott zum Gruß! Wohin des Wegs?"
"Immer grad nach Norden geht's."
"Ei so meidet das Tal dort drunt still und schmal!"

Denn dort lebt eine Hexe mit Teufelsmacht.
Manchen Junker hat sie schon
um sein Heil gebracht.
Sie will jeden betör'n,
keinem einzigen gehör'n,
wilde Tiere fürchten sie,
ihre Blumen welken nie."

Des Wirten Wort war dem Wanderer einerlei,
denn er fürchtet nicht Tod noch Hexerei.
Nach dem Aufbruch alsbald
kam er an ein Haus im Wald,
und gar lieblich ihm dünkt
das Weib, das ihm winkt.

Viele Tage er blieb bei dem schönen Weib,
seine Seele sie labte und auch den Leib.
Vor dem Haus sah er stehn
eine Blume blau und schön,
allezeit blühte sie und welkte nie.

Schließlich wollte der Wanderer weiterziehn.
Von dem Weibe der Abschied
war schwer für ihn.
Sie sprach: "Ich leb allein,
will nicht eingemauert sein,
bin mit jedem versöhnt,
der Freiheit gewöhnt."

Als nach Jahren der Wanderer wiederkam,
was er sah, ihm vor Schrecken den Atem nahm:
Alle Pflanzen verheert,
und die Hütte zerstört!
Er besann sich nicht lang,
lief ins Dorf voller Bang.

Dort brannten die Scheiter im Abendrot,
und das Volk johlte ringsum:
"Die Hex' ist tot!"
Schweigend stand im Geschrei
ein feins Mägdlein dabei,
die blaube Blume fürwahr
trug's im schwarzen Haar.
Allezeit blühte sie und welkte nie.

© Claudia Mitscha-Eibl, A-2100 Korneuburg

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