Integration anno 1994
Die Herren unsres Landes erließen ein Gesetz:
Die Kinder, die behindert sind, die integriern wir jetzt.
So gut ist der Gedanke, so schwer jedoch die Tat.
Drum höret, was in unserer Stadt sich zugetragen hat.
Wir integrieren unsre Kinderchen,
die "normalen" und die "behinderten".
Wir integrieren, eins-zwei-drei,
vielleicht ist ihr Kind auch dabei.
Es war Sabine Müller ein frühgebornes Kind,
das in so manchem anders war, als andre Kinder sind.
Sie hatte viele Freunde, die mochte sie sehr gern.
Wie schön, wenn die dann später
ihre Schulkollegen wärn.
Wir integrieren unsre Kinderchen,
die "normalen" und die "behinderten".
Wir integrieren, bitte sehr,
ja, wenn das nur so einfach wär.
Frau Müller schrieb Sabine an unsrer Schule ein.
Da rief die Frau Direktor, nein, ach lassen Sie das sein!
Frau Müller sprach, es gibt doch die Integration.
Die Frau Direktor sagt, o ja, wir hörten schon davon.
Wir integrieren unsre Kinderchen,
die "normalen" und die "behinderten".
Wir integrieren alle gern,
aber ihr Kind würde störn.
Und in der Sonderschule, da schrie man ganz empört,
was tun sie Ihrem Kind nur an, das doch zu uns gehört,
es wird noch schrecklich leiden an der Ideologie,
denn wirklich integriert wird die Sabine sicher nie.
Wir integrieren unsre Kinderchen,
die "normalen" und die "behinderten".
Ja, integrieren ist heute Pflicht,
aber für ihr Kind gilt das nicht.
Zu dem Herrn Schulinsprektor ging Frau Müller dann.
Der sage: ja, mhm, aha - ein aufmerksamer Mann,
und er versprach ganz sicher, er werde sich bemühn,
die Integration an dieser Schule durchzuziehn.
Wir integrieren unsre Kinderchen,
die "normalen" und die "behinderten".
Wir integrieren, ist doch klar -
vielleicht im übernächsten Jahr.
Beim Landesschulrat schließlich, der obersten Instanz,
da hieß es, wir probieren's ja schon,
doch klappt es noch nicht ganz.
Sie werden wohl verstehn, daß wir überfordert sind.
Frau Müller fragt ganz leise nur:
Und wer versteht mein Kind?
Wir integrieren unsre Kinderchen,
die "normalen" und die "behinderten".
Ja, integrieren ist eine Kunst,
doch die beherrscht man nicht bei uns.
Frau Müller wird noch kämpfen, sie kämpft für andre mit,
denn alles, was beginnen soll, braucht einen ersten Schritt.
So hört zu guter Letzt die Moral von der Geschicht':
Die Schule ist behindert, die Kinder sind es nicht.
© Claudia Mitscha-Eibl, A-2100 Korneuburg
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